Marcellas Weg der Liebe


(Auszug aus "Denn du bist mein Vater" – Bekenntnisse eines Lebens, Carlo Carretto)


Das Leben, das nur als Vergnügen begehrt wird, ist kein Leben, es ist ein Huren­haus. Ich mag es nicht. Es ist der Liebe nicht würdig.

Wer das Leben der Liebe würdig gemacht hat, ist Jesus. Jesus lehrt mich zu lieben. Jesus gibt mir die Kraft dazu.

Jesus ist der Weg.

 

Der Weg, den er gegangen ist, ist der Weg der Liebe.

Bevor er der Weg der Auferstehung ist, ist er der Weg der Selbstverleugnung, der Hingabe.

Bevor er Triumph ist, ist er Niederlage, Kreuzigung.

Ich möchte ihn ganz durchlaufen, koste es, was es wolle.

Denn der Weg ist Jesus.

Und unser Weg ist Nachfolge Jesu. …

 

Auf Gott vertrauen, die Tatsachen annehmen, sie annehmen als Heils-Tat Gottes an mir, sie annehmen, um sie mit Liebe und Geduld zu verwandeln.

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Zur Zeit wohnt in einer Einsiedelei, nicht weit von mir, eine Frau mit ihrem Sohn. Von Zeit zu Zeit bittet mich diese Frau, sie da zu beherbergen. Jedes Mal bringt sie ihren Sohn mit. Aber der Sohn ist mongoloid, und das Leben dieser Frau wird völlig von ihm aufgebraucht.

Als ich sie vor Jahren kennen lernte, bat sie mich um Rat und Hilfe, ihren Sohn in einer Anstalt unterzubringen. Es schien die natürlichste Sache der Welt zu sein.

Jedes Mal, wenn ich vom Besuch einer derartigen Anstalt zurückkam, war ich entsetzt. Ich konnte es mir nicht ausdenken, den kleinen Andreas in den trostlosen Schlafsälen unter lauter gleichen Kranken zu sehen.

 

»Nein, Marcella, Andreas muss bei dir bleiben, du bist sein Leben.«

Die Antwort der Frau war Schweigen. Sie bat mich um eine Einsiedelei, um zu versuchen, dieses Schweigen mit Gebet zu erfüllen.

 

»Marcella, versuche es, Gott etwas zu sagen.«

 

»Ich kann nicht. Würde ich ihn um etwas bitten, so wäre es doch immer nur, er möge mir diese schreckliche Last wegnehmen.«

 

»Versuche es noch einmal.«

Vor der Abreise sagte sie zu mir: »Bruder Carlo, gibt es wirklich keine geeignete Anstalt für Andreas?«

Sie kam öfters wieder in die Einsiedelei.

 

»Marcella, versuche es, Gott etwas zu sagen.«

 

»Ich möchte zu ihm sagen: Dein Wille geschehe, aber ich kann es immer noch nicht. Sag du es für mich ...«

 

Nun sagt es Marcella selbst: »Dein Wille geschehe«, und dass sie es endlich im Glauben zu sagen vermochte, hat ihr die Angst genommen. Sie könnte es nicht über sich bringen, ihren Sohn fremden Menschen anzuvertrauen. Es ist, wie wenn sie ihn ein zweites Mal geboren hätte. Alles Übrige zählt nicht.

 

Mein Heil beginnt hier. Andreas ist ihr wie etwas Heiliges geworden. Und welch ein Frieden in ihrem Gesicht?

 

Wie viel sagt es mir aus der Ferne, wenn ich an diese Frau denke, die den Willen Gottes zu tun versucht.

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